Bewegte Bilder nennt man gern die Zelluloid-Illusionen, wenn das Wort Film einem zu nüchtern klingt. Bewegte Bilder. Aber ist dies wirklich eine passende Beschreibung für das, was man größtenteils in den Kinos zu sehen bekommt? Sind das wirklich Bilder? Oder ist es nicht viel eher schon längst etwas vollkommen eigenes, etwas, das über schlichte Bilder bei weitem hinaus geht?
Bilder schweigen in der Regel und lassen die Gedanken des Betrachters sprechen, Filme hingegen reden in einem fort, erzählen Geschichten, belehren, vermitteln Botschaften, unterhalten oder brüllen gar. Bilder sind bescheiden und stumm, Filme sind laut und eitel... die meisten zumindest.
Denn Alexander Soljokov hat einen schweigenden Film geschaffen oder besser gesagt ein wirkliches bewegtes Bild, genauer bewegtes Gemälde.
Zunächst zeigt dieses die Ecke eines bäuerlichen Raumes, die von einem diffusen Lichteinfall spärlich erhellt wird. Man kann einen jungen Mann ausmachen, der, seinen Kopf auf einen Ellenbogen stützend, an der Seite einer älteren Frau liegt, die, vom Dunkel fast verborgen, zu schlafen scheint. Das Bild wirkt etwas gedehnt und an den Rändern unscharf. Außerdem wirken Farben und die seichten Konturen, als wäre es handgemalt. Doch war da nicht eben ein Zucken in den Mundwinkeln? Und da - bewegten sich nicht eben die Augenlider? Bewegung kommt in das Gemälde. Der junge Mann beginnt, in ruhigem und gefühlvollem Ton mit der alten Frau zu sprechen. Geradezu zärtlich. Es dauert, bis die leise und stöhnende Antwort kommt. Es entwickelt sich ein langgezogener und dennoch nicht zäher Dialog, in dem wir erfahren, daß es sich um Mutter und Sohn handelt. Sie beschließen, spazieren zu gehen.
Die beiden Hauptfiguren - die einzigen Figuren - des Films wirken vom ersten Augenblick an unverständlich, befremdlich, und doch sehr menschlich.
Aber "Augenblick" ist ein Wort, das hier völlig unangebracht ist. In Soljokovs Film gibt es keine Augenblicke, auch keine Sekunden. Alles geschieht im Minutentakt, mit unglaublicher Ruhe, die den Zuschauer zunächst sehr verwirrt, nach einer Eingewöhnungsphase aber in ihren Bann zieht.
In unglaublich langen Einstellungen zeigt der Regisseur farbverfremdete Landschaften, die gleichzeitig eine unglaubliche Schönheit und fröstelnde Distanz ausstrahlen. Einen Bezug zu ihnen erhält der Zuschauer nur durch Mutter und Sohn, die sie jedoch weder durch Wärme noch Nähe bereichern können. Irgendwo in der Ferne pustet ein Zug weiße Wolken in den Himmel. Ein andernmal sieht man durch das Fenster blickend in der Ferne eine Frau über einen Hügel gehen. Bedeutungslos, ohne Konsequenz, unwesentlich. Einsamkeit wird spürbar, die Einsamkeit des Sohnes und seiner sterbenden Mutter. Sie tun nichts, als Leben, sie existieren, sind einfach da, Arm in Arm und doch weit voneinander entfernt, ebenso wie der Zuschauer. Der Mensch ist allein, isoliert, der Betrachter ebenso wie die Betrachteten und keiner kann dem anderen näher kommen, so sehr er dies auch wünscht.
All dies erzählt Soljokov nicht, er malt es. Die Kamera ändert nur träge ihre Blickwinkel, Bewegungen laufen langsam und ruhig ab, manchmal geschieht gar nichts. Schnitte werden zu einer Seltenheit.
"Mutter und Sohn" ist nicht nur außergewöhnlich, er ist anders. Er ist nicht umwerfend, nicht fesselnd, alles andere als spannend. Und doch beeindruckend und vor allem schön. Dieser Film verdient einen Rahmen.
![]() |
Inhaltsverzeichnis | ![]() |
©`98Der AmZeiger |